Neues Wissen zu entwickeln, führt zu Ideen. Wenn Ideen umgesetzt und von der Zielgruppe angenommen werden, entstehen Innovationen. Als Innovationsmanager hat mich (Reinhard Willfort) daher das Thema Wissensmanagement schon vor 25 Jahren interessiert. Zu diesem Zeitpunkt war Wissensmanagement auch für die Industrie bereits hochrelevant da die Wissensintensität in der Wertschöpfung enorm angestiegen ist. Als Forscher an der Technische Universität Graz hat ich damals die Möglichkeit das Thema weiter zu vertiefen, Modelle zu Methoden zu erdenken und mit Unternehmen zu diskutieren.
Gemeinsam mit Kollegen aus der Montanuniversität Leoben und der Universität Graz konnten wir am 01.03.2000 das Wissensmanagement Forum als interaktive Plattform für den Austausch zw. Forschern und für die Reflexion mit der Industrie gründen. Seit dieser Zeit sind in unterschiedlichen Forscherrunden mehr als 30 Dissertationen zu unterschiedlichen Schwerpunkten des Wissensmanagements entstanden. Daraus wurden lfd. Praxishandbücher für die Umsetzung von Theorien und Modellen in der Industrie zur Verfügung gestellt.
Im Jahr 2000 waren wir in der Entwicklungsgeschichte des Wissensmanagements gerade in der Auslaufphase der „Wissensdokumentationsphase“. Tools waren auch damals schon wichtig aber meist war die Implementierung nicht sonderlich erfolgreich. Ich erinnere mich noch an den Hype, wo versucht wurde Wiki-Systeme als Strukturierungs- und Dokumentationstools einzuführen. In vielen Fällen war der Initiator des Systems der erste und zugleich letzte Autor im Tool. Um besser zu verstehen warum KI-Tools eine höhere Wirksamkeit im Wissensmanagement haben werden, möchte ich die Historie ab 1980 kurz zusammenfassen und einen Blick in die Zukunft wagen:
1980-2000 Codifizierungsstrategie: Mit der Verfügbarkeit von Computern stand das Dokumentenmanagement und die Dokumentation von Wissen als Wissensmanagement-Strategie Nummer 1 im Fokus. Ziel vieler Unternehmen war es relevantes Wissen bestmöglich zu dokumentieren und damit unabhängig von den eigenen Mitarbeitern zu werden. Dokumente werden aber schnell alt und damit nicht mehr gelesen und das wertvolle „implizite Wissen“ kommt darin nicht oder nur in Ansätzen vor.
2001-2010 Personifizierungsstrategie: In dieser Periode wurde der Fokus auf den Menschen verlegt. Diese Humanoritierung baut darauf, dass Wissen ist in den Köpfen von Menschen und in From von Erfahrungen implizit an den Körper von Personen gebunden ist. Die Dokumentation von Wissen tritt damit in den Hintergrund bleibt aber weiterhin im Fokus der IT-basierten Wissensmanagement-Systeme. Der Mensch als Wissensarbeiter und wertvoller Wissensträger liefert in dieser Phase auch einen wichtigen Impuls in die HR-Abteilungen in Unternehmen und fordert diese im Wissensmanagement aktiv zu werden. Persönliches Wissensmanagement kommt als neue Dimension dazu und liefert neue Ansätze zur Gestaltung von Wissensarbeitsplätzen und von Lernprozessen.
2011-2020: Kollaborationsstrategie: Nach Groupware, Intranet und Web 2.0 kamen in dieser Phase zahlreiche Social Media Plattformen und kollaborative Tools für Unternehmen zum Einsatz. Auch wenn es in vielen Unternehmen nicht sofort erkannt wurde, sehe ich darin die logische Zusammenführung der zuvor beschriebenen Wissensstrategien. Dokumentation bekommt im Kontext der Kollaboration in Netzwerken eine neue Bedeutung und Qualität. Big Data und maschinelles Lernen liefern z.B. neue IT-basierte Möglichkeiten im Wissensmanagement .
Es ist nun aber wichtiger zu wissen wer mit wem zusammenarbeitet und wo er gewesen ist als die ausführliche Dokumentation seines Wissens. Der „Activity Stream“ findet in viele Tools Einzug und liefert interessante Indikatoren, um Persönlichkeitsprofile und Verhaltensmuster zu erkennen.
2021ff: Wissenseffizienzstrategie: Ob dieser Begriff für die aktuelle Phase stimmig zur aktuellen Entwicklung des Wissensmanagements im Kontext des KI-Hypes ist, kann ich noch nicht sagen. Auf jeden Fall wird das Thema Wissensmanagement indirekt durch den wachsenden Markt an KI-Tools wieder mehr Aufmerksamkeit bekommen. Meine gewählte Bezeichnung „Wissenseffizienzstrategie“ soll zum Ausdruck bringen, dass wir durch KI-Tools eine neue Dimension in der Entwicklung, Verteilung, Sicherung und Anwendung von Wissen bekommen werden. Treiber dafür wird vor allem die erhöhte Leistungsfähigkeit der IT und mächtiger KI-Wissensmodelle sein. ChatGPT hat dazu das „iPhone Momentum“ geliefert. KI-basiertes Wissensmanagement könnte durch personalisierte Assistenzsysteme für Menschen mehr Spielraum und Hilfestellung für den anspruchsvollen Teil der Wissensarbeit schaffen, insbesondere für die Kreation von neuem Wissen und von Lösungen.
Dazu ein paar aktuell Beispiele:
- Unterstützung von Brainstorming: Um auf Gedankensprünge und neue Ideen zu kommen, braucht unser Gehirn Reize, die von anderen Personen kommen können oder wie bei KI von einer Maschine die ihr hochvernetztes Wissensmodell einsetzt, um Inspirationen beim Menschen in Form von Text oder Bildern zu liefern. Damit kann die Entwicklung neuer Lösungen aus unterschiedlichen Wissensbereichen mit Inspiration versorgt werden. Der „geniale Kick im Kopf“ sollte damit wahrscheinlicher werden aber er wird weiterhin im Kopf von Menschen statt finden.
- Workplace Learning: Kontextspezifisches Lernen, genau zu dem Zeitpunkt wo das Wissen gefragt ist, scheiterte bisher an Suchalgorithmen, fehlender IT-Performance oder veralteten Dokumenten. Mächtige KI-Wissensmodelle sind dazu nicht unbedingt erforderlich. Es reicht eine lokale KI-Lösung (oft Open Source) zu trainieren und mit unternehmensspezifischem Content zu füttern. Die Suche und Vernetzung von Experten ist über bereits verfügbare Tools, wie z.B. eine Innovationsplattform leichter möglich. Im Unterschied zu Wiki-Systemen muss damit aber kein neuer Content geschrieben werden. KI-Tools sind in der Lage Muster in vernetzten Daten zu erkennen und daraus „personalisierte Lernangebote“ für User zu liefern.
Nachdem die Wissensintensität in neuen Lösungen weiter ansteigt, ist es essentiell für die Zukunft des Innovationsmanagements modernste Tools einzusetzen. Wissensarbeit rückt damit noch stärker in den Fokus und der gezielte Einsatz von Assistenzsystemen wird die Effizienz aber auch Effektivität dieser Jobs massiv beeinflussen. KI-Tools brauchen für deren Einsatz und Nutzung fundiertes Wissen über deren Einsatzgebiete, Plausibilität von Outputs und Wirksamkeit. Dieses Wissen muss in den Köpfen der MA aufgebaut werden, so wie bei jedem Technologiesprung Lernprozesse ausgelöst werden mussten, um diese sinnvoll einsetzen zu können.
Angst vor Künstlicher Intelligenz werden damit nur Menschen und Unternehmen haben, die sich nicht mit der Materie auseinandersetzen. Ein „staatlicher Schutz“ durch Verbote von KI-Angeboten wird durch die globale Vernetzung schwer möglich sein. Wer sich ausklinkt, wird zurückfallen, weil die Innovationsgeschwindigkeit weiter ansteigen wird. Dazu war IT schon in den letzten Jahrzehnten einer der Haupttreiber. Bei KI wird die Technologie nochmals eine neue Dynamik liefern, die man auch als Chance für den Arbeitsplatz der Zukunft sehen kann. Ob diese neue Qualität an Wissens-Werkzeugen nun dazu führen wird, dass wir (wirklich) weniger arbeiten oder die Kluft zwischen den „KI-Nutzenden“ und „KI-Skeptikern“ größer wird, werden wir sehen und erfahren.
Wie steht es in deinem Unternehmen mit dem Wissensmanagement? Sind KI-Tools bereits im Einsatz und gibt es dazu positive Erfahrungen?
Reinhard Willfort, Innovationsdoktor, www.willfort.at