Die Prinzipien Realismus und Konstruktivismus bergen bedeutende Implikationen für das Wissensmanagement. Der Konstruktivismus stellt dabei, im Gegensatz zum Realismus, das Subjekt (bzw. den Beschreiber/Beobachter) in den Mittelpunkt aller Betrachtungen. Was allerdings steckt im Detail hinter dem Erklärungsprinzip „Konstruktivismus“? Was sind die zentralen Merkmale? Und was ist die dahinterliegende Sichtweise? Dieser Beitrag gibt Antworten auf diese Fragen und verweist auf ein- und weiterführende Literatur.
Zentrale Merkmale
Der Konstruktivismus geht von einer prinzipiellen Unseparierbarkeit bzw. Verschränkung von Subjekten und Objekten aus. Die Bedeutung des Subjektes wird gestärkt und in dessen umgebenden Netzwerken (Kommunikationsfeldern) betrachtet. Der Beobachter ist Beschreiber [1]. Er weiss, dass er Beschreiber ist und was er beschrieben hat. In dem er das Leben beschreibt, erzeugt er das Leben [2]. Der Beschreiber steht in Wechselwirkung (über Interaktion bzw. Kommunikation) mit dem Beschriebenen. Es gibt keine Wahrheit (bzw. Wahrheitsnähe) sondern nur ein erhöhtes Konsensniveau. Zentral ist die „Funktionalität“ von Wissen.
Sichtweise des Konstruktivismus
Der
Konstruktivismus verfolgt eine integrale Betrachtungsweise der Welt, indem das Subjekt (der Beobachter bzw. Der Beschreiber) als zentraler Bestandteil der Welt gesehen wird, die es versucht zu beschreiben (Verschränkung zwischen Subjekt und Objekt). Die Wirklichkeit existiert nicht objektiv, sie wird durch die Erkenntnissuche (durch den nach Erkenntnis Suchenden) geschaffen bzw. konstruiert. Beschreibungen sind insofern subjektiv, als dass sie von Subjekten erschaffen wurden (dies ist jedoch zwar notwendig aber nicht hinreichend) und sie vom Beschreiber ständig mit
seinem internen Modell der Welt verglichen und in Bezug gesetzt werden. Wissen ist gleichzeitig „objektiv“ (oder besser gesagt „beschränkt objektiv“:
konsensual, für jeden Menschen unter gleichen Bedingungen nachvollziehbar) und relativ (relativ zur Sozialisation). Dabei kommt ein pragmatischer bzw. funktionaler Begriff von Wissen zu tragen –
Die Funktionaliät des Wissens entscheidet über seinen Wert (und nicht, wie z.B. im
Realismus, die Wahrheitsähnlichkeit)
. Wesentlicher Vertreter des Konstruktivismus sind
Heinz von Förster,
Ernst von Glasersfeld,
Paul Watzlawick,
Humberto Maturana und auch
Niklas Luhmann.
Der Konstruktivismus sagt aus, dass kein Objekt in der Beobachtung unverändert bleibt, die Beobachtung also immer einen Einfluss auf das Beobachtete hat (sogenannte
Kybernetik 1. Ordnung [3]). Beobachtende Subjekte können diesen Einfluss zwar identifizieren, aber nicht kalkulieren. Versuchen Beobachter „besser/akkurater/exakter/..“ zu beobachten, so ist dafür die Beobachtung von Beobachtungen notwendig. Diese Situation wird von Kybernetikern als Kybernetik 2. Ordnung bezeichnet.
Kybernetik 2. Ordnung besagt, dass eine Theorie die sich mit Beobachtungen auseinandersetzt berücksichtigen muss, dass sie wiederum von Beobachtern entwickelt wird. Dadurch wird der Begriff der Selbstreferentialität bzw. selbstreferentieller Systeme [4] mit dem Konstruktivismus in Zusammenhang gebracht (denn in der Kybernetik 2. Ordnung beobachten Beobachter Beobachtungen). Eine Spielart des Konstruktivismus ist der
radikale Konstruktivismus, welcher der Existenz von „objektivem Wissen“ (wie es z.B. Popper’s
3. Welt postuliert – siehe dazu auch den Beitrag „
Realismus als Erklärungsprinzip„) grundsätzlich eine Absage erteilt. Heinz von Förster fasst diese Betrachtungsweise in seinem Satz „Objectivity is a subject’s delusion that observing can be done without him“ plakativ zusammen.
Durch seine integrale Betrachtungsweise erscheint der Konstruktivismus im
Context of Discovery (Im Kontext von Neuem, Entdeckung, Innovation, Hypothesen- und Theorienbildung) besonders wertvolle Hinweise auf das Verständnis neuer Problemstellungen und Herausforderungen geben zu können. Wissenschaftler unabhängig ihrer fachlichen Zugehörigkeit erlangen durch den Konstruktivismus die Fähigkeit
ihre Rolle in Erkenntnisprozessen besser zu verstehen. Die Implikationen eines konstruktivistischen Weltbildes auf den Alltag hat
Konrad Paul Liessmann in seinem Artikel
„Wir sind alle Lügner“ illustrativ und unterhaltsam aufgearbeitet (ohne allerdings den Begriff „Konstruktivismus“ selbst zu verwenden).
Literatur:
[1]
Einführung in den Konstruktivismus, Hrsg. Heinz Gumin und Heinrich Meier, Piper Verlag GmbH, München, 7. Auflage Sept. 2003
[2]
Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners, Heinz von Foerster, Bernhard Pörksen, Carl-Auer-Systeme Verlag, 2004.
[3]
KybernEthik, Heinz von Foerster, Merve Verlag, Oktober 1993
[4]
Soziale Systeme, Niklas Luhmann, Suhrkamp, 2001